Frauenbrief zur Beibehaltung des Vollzugsdiensts? Nicht in unserem Namen!

Offener Brief an:

Gemeinderat der Stadt Freiburg

Oberbürgermeister Martin Horn

Bürgermeister Stefan Breiter

25.4.2021

Frauenbrief zur Beibehaltung des Vollzugsdiensts? Nicht in unserem Namen!

Nach umstrittener Einführung des kommunalen Ordnungsdienstes/städtischen Vollzugsdiensts 2017 beantragen die Fraktionen der Grünen, JUPI und Eine Stadt für alle die Abschaffung bzw. Kürzung des Vollzugsdienstes (VD) um sechs Stellen. In der dritten Haushaltslesung am 27.04.2021 soll darüber im Gemeinderat abgestimmt werden. Einige Gemeinderatsmitglieder argumentieren gegen die Kürzung und am 13.04.2021 wurde ein sog. Frauenbrief seitens einiger Bürger*innenvereine veröffentlicht, der sich gegen die Kürzung beim Vollzugsdienst stellt. Begründet wird dies vordergründig mit der vermeintlichen höheren Sicherheit für Frauen in der Öffentlichkeit durch den Vollzugsdienst. Im Brief wird aber auch deutlich, dass es vor allem um den „Schutz der Nachtruhe, die Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt“ geht. Im Brief wird vermeintlich aus Sicht „der Frauen“ geschrieben. Doch wir als Feminist*innen, als Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary-Personen, Trans* (FLINT*) sagen: Das gilt nicht für uns! Hier wird bei Weitem nicht für alle Frauen gesprochen! Mit diesem Brief wollen wir aufzeigen, dass die Kürzung oder Abschaffung des Vollzugdiensts weder frauenfeindlich ist und der Vollzugsdienst längst nicht der Sicherheit aller FLINT* in Freiburg dient. Stattdessen wäre die Kürzung beim VD ein wichtiger Schritt in Richtung einer inklusiven Stadt. Denn der VD schafft nicht für alle Menschen Sicherheit.

Der repressive Charakter, der in dem Schreiben vom 13.04.2021 angezweifelt wird, liegt allein schon in der unmittelbaren Anwesenheit Uniformierter, die für viele mit Erinnerungen und Wissen über Ablehnung, Nicht-Gehört-Werden und direkten Verfahren gegen sie verbunden ist, allein aufgrund ihrer Art zu leben oder ihnen zugeschriebenen Rassifizierungen. Die Evaluation der Sicherheitspartnerschaft hat klar gezeigt, dass sich ein nicht geringer Anteil (ca. 40% der Befragten) durch die Anwesenheit des Vollzugsdienstes eingeschränkt fühlt. Und dabei wurden noch nicht mal eine repräsentative Gruppe der Nutzer*innen der Innenstadt befragt, sondern lediglich Anwohner*innen.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie der VD zu einer tatsächlichen Verminderung von sexueller Belästigung und Übergriffen führt. Viele, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, wenden sich ungern an Behörden, weil dies oft nur eine weitere Ohnmachtserfahrung bedeutet: Nicht ernstgenommen zu werden mit dem Erlebten.

Auch die Evaluation der Sicherheitspartnerschaft hat gezeigt, dass sexuelle Belästigung und Übergriffe zwar einer der Hauptfaktoren für Unsicherheit in der Innenstadt sind. Doch hat sie auch ergeben, dass sich die Befragten durch präventive Maßnahmen wie das Frauennachttaxi, mehr Beleuchtung und verlängerter ÖPNV sicher fühlen. Wenn es wirklich um die Verhinderung von sexuellen Übergriffen geht, sollte der VD deutlich gekürzt bzw. abgeschafft werden um mehr Geld für präventive Maßnahmen zur Verfügung zu haben. So hatte bspw. der Verein samt und sonders im Januar 2021 im Rahmen der Haushaltsberatungen einen Antrag für den Aufbau von Awareness-Strukturen im Nachtleben eingebracht. Dadurch würde proaktiv und präventiv auf die Verringerung von diskriminierenden und übergriffigen Situationen hingearbeitet. Dieser Antrag wurde jedoch vom Großteil der Fraktionen abgelehnt und zeigt, dass der Schutz von FLINT* im Nachtleben eindeutig nicht der Hauptfokus städtischer Maßnahmen ist. Auch der Brief der Bürger*innenvereine argumentiert lediglich ideologisch und vorgeschoben mit dem vermeintlichen Schutz von cis-Frauen.

Denn der VD beschäftigt sich hauptsächlich damit, Wohnungslose zu vertreiben und öffentliches Urinieren anzuzeigen. Insbesondere (osteuropäische) Bettler*innen, Straßenmusiker*innen und junge Menschen stehen im Fokus der Maßnahmen des VD. Abgesehen davon, dass öffentliches Urinieren wohl besser durch die präventive Maßnahme öffentlicher Toiletten unterbunden wäre, zeigt sich darin, dass es beim VD nicht um Sicherheit geht, sondern lediglich um die Aufrechterhaltung einer ganz spezifischen Vorstellung einer Stadt, in der sich konsumieren lässt, ohne von Armen und Marginalisierten gestört zu werden.

Mit dem VD lediglich auf eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls zu setzen, ist allenfalls eine populistische Maßnahme und geht an realen Problemen vorbei.

Die Normierung des Stadtbildes über die autoritäre Maßnahme der Sittenwächter und das strafende Vorgehen sind nicht die Maßnahmen, die unserer Meinung nach zu einem positiven gesellschaftlichen Klima beitragen. Stattdessen müssen Probleme, die aus der patriarchal organisierten Gesellschaft resultieren, mit präventiven und grundsätzlichen Maßnahmen angegangen werden. Die ‚Lösung‘ über den Beschützer in Gestalt des Behördenmitarbeiters fixiert FLINT* dagegen nur in einer Opferrolle.

Weitere Ideen für präventive Maßnahmen sind z.B. Veranstaltungsreihen zu Formen von sexueller Belästigung und kritischer Männlichkeit, Auf- und Ausbau von Awareness-Strukturen im Freiburger Nachtleben (siehe Antrag von samt und sonders vom Januar 2021), Plakatkampagnen gegen Catcalling und vieles mehr. Darüber hinaus müssen Schutzräume wie Frauenhäuser und feministische Strukturen noch deutlich besser finanziell unterstützt werden.

Wir möchten betonen: Der „Frauenbrief“ vom 13.04.2021 behauptet, die Sicherheit von Frauen als Anliegen zu haben, viel mehr zeigt sich aber, dass Ruhe, Sauberkeit und ungestörtes Konsumieren als verstecktes Hauptanliegen fungieren. Mit diesem Brief machen wir deutlich: Die Kürzung, sogar die Abschaffung des städtischen Vollzugsdienstes, sind voll in unserem Sinne und wir fordern, auch im Gemeinderat den Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses umzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen von den Unterzeichner*innen:

Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Freiburg

Fantifa Freiburg

FemBPM Freiburg

feministische gruppe realitätenwerkstatt

Feministische Linke (FeLi)

fz* – feministisches zentrum freiburg

Genderreferat Uni Freiburg

Grüne Alternative Freiburg

Junger DBSH Freiburg (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.)

Octopussya

Recht auf Stadt Netzwerk

TransAll e.V. Freiburg

Tritta* – Verein für feministische Mädchen_arbeit e.V.

Unabhängige Frauen Freiburg

Unbeherrscht